Kein Lesetipp für instabile Seelen: „Arbeit und Struktur“ von Wolfgang Herrndorf ist wie ein klarer Wintermorgen, so funkelnd, aber auch so unbarmherzig.
2010 wurde bei Wolfgang Herrndorf ein tödlicher Hirntumor diagnostiziert. In der Folge begann er ein Tagebuchblog, das er „Arbeit und Struktur“ nannte – weil er eben dies den lähmenden Gedanken an den Tod entgegensetzen wollte. Natürlich konnte er den Kampf gegen die fortschreitende Krankheit, gegen furchtbare Anfälle von Depersonalisation, Alpträume, Panik, Verlust der Orientierung und Störungen des Sprachzentrums, nicht gewinnen. Doch darum ging es ihm gar nicht. Ganz pragmatisch wollte er „Tschick“ und „Sand“ fertig schreiben, den Jugendroman und den Thriller, die beide noch zu seinen Lebzeiten erschienen und erfolgreich waren. Aber auch das Blog, eigentlich nur für die Freunde begonnen, die er zeitsparend über seinen Zustand informieren wollte, wuchs sich zu etwas Größerem aus.
Dies ist ein Lesetipp, den man einschränken muss. „Arbeit und Struktur“ ist nichts für instabile Seelen. Und da wir alle irgendwo instabil sind, ist es eigentlich nichts für niemand. Das Buch hat viel Ähnlichkeit mit einem klaren Wintermorgen, so funkelnd, aber auch so unbarmherzig. Es verstört tief, und das, obwohl keineswegs Depression und Verzweiflung den Ton angeben, vielmehr Herrndorfs Selbstironie in dunkelsten Situationen, sein Witz, auch seine Dankbarkeit für alles Schöne, für Liebe und Fürsorge. Dennoch hält diese Gedankenwelt für niemanden Trost bereit. Im Gegenteil: Herrndorfs intelligenter Zorn auf all die religiösen, esoterischen oder sonstwie infantilen Unsterblichkeitsfantasien überwältigt. Sein Nihilismus lässt uns ungeschützt zurück.
Um nicht „als Gemüse zu enden“, schoss er sich im August 2013 mit dem Revolver in den Kopf.
Wolfgang Herrndorf, Arbeit und Struktur. Rowohlt TB, 10,99 €