Lesetipp: Irrwitz und Doppelbödigkeit, überraschende Bilder und ambivalente Charaktere machen Graham Greenes „Unser Mann in Havanna“ heute noch lesenswert. Ein Klassiker unter den Spionageromanen, der eigentlich keiner ist.
Vor allem zahllose Filme aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren, in deren Abspann er als Drehbuchautor oder Autor der Buchvorlage genannt wird, haben Graham Greene berühmt gemacht. Aber lohnt es sich heute, ihn zu lesen? Ein klares Ja! Und zwar auch dann, wenn man, wie ich, weder Krimis noch Spionageromane zu seiner bevorzugten Lektüre zählt.
Kuba, kurz vor der Revolution. Held und Antiheld des Romans ist der Engländer James Wormold, der als alleinerziehender Vater einer Siebzehnjährigen in Havanna lebt. Als Staubsaugervertreter verdient er deutlich weniger Geld, als seine Tochter für ihren aufwändigen Lebensstil ausgeben möchte. Als der britische Geheimdienst ihm eine lukrative Spionagetätigkeit anbietet, kann er nicht wirklich ablehnen – obwohl er weder Lust aufs Abenteuer noch die nötigen Kenntnisse hat. Doch bald schon fordert London Ergebnisse. In seiner Verzweiflung zerlegt er einen Staubsauger, zeichnet einzelne Teile ab, ändert den Maßstab und gibt das Ganze als komplexe militärische Anlage aus, die er im Urwald entdeckt haben will. Der gerüchteumwitterte „Chef“ ist begeistert und lässt ihm weitere Gelder und Personal zukommen. Wormold verleitet das zu immer irrwitzigeren Lügenkonstruktionen …
Ein spannender Spionageroman, der eigentlich keiner ist, sondern eine doppelbödige Satire. Immer wieder wird die Macht der Erfindung, der (auch böse) Zauber der Fantasie thematisiert. Immer wieder verblüffte mich die Kraft und Ungewöhnlichkeit der Sprachbilder, die scheinbar ganz leicht daherkommen. Die nihilistische Haltlosigkeit der Charaktere, die zwischen Versagen und Heldentum, Schwäche und Stärke hin und her geworfen werden, wird nur ein wenig ausgeglichen durch den Glauben an Liebe und Treue, der der Geschichte immerhin ein halbes Happy-End beschert.
Graham Greene, Unser Mann in Havanna. dtv, 9,90 €.