Durchdachte Performance für virtuose Himmelsstürmer. Eindrücke vom Lyrikfestival „lauter leise lesekonzerte“.

Ulrike Almut Sandig
© Wolfgang Frank

Die Zeiten öder Wasserglas-Lesungen in bildungsbürgerlichem Umfeld, wie Loriot sie in „Pappa ante portas“ 1991 hochkomisch karikiert hat, scheinen endgültig vorbei. Das sieht auch das Freiburger Literaturhaus so und präsentiert in seinem ersten Lyrikfestival die schreibende Zunft als „virtuose Himmelsstürmer“ im Zusammenspiel mit Musik in allen Formen und Farben.

Aber auch Laptop, Leinwand, Loopmaschine kommen zum Beispiel bei Ulrike Almut Sandig selbstverständlich und hochprofessionell zum Einsatz. Sie mixt wunderliche Verse im Märchenton zu mehrstimmigen Sprach- und Geräuschkunststücken, setzt ihr Publikum in eine Zeitkapsel und sendet eine „Nachricht von der deutschen Sprache“ aus der nicht sehr fernen Zukunft. Ganz anders anschließend Ulf Stolterfoht. Draußen im Innenhof wurde mit Teppichen und Sofas, Fähnchen und Girlanden ein schwereloses „Wohnzimmer“ gebaut, in dem der Lyriker fröhliche Verse über seine Jugenderlebnisse in der Dorfband zum Besten gibt, aber auch komplizierte Gebilde aus Wald- und Gitarrenverstärker-Begriffen bastelt. Im „Wohnzimmer“ singt und spricht am Sonntag auch der Südufer-Chor in Zusammenarbeit mit José F.A. Oliver und Rike Scheffler arabische und deutsche Lieder. Zwanglos und bunt geht es zu, auch beim Minnesang aus der Anthologie „Unmögliche Liebe“ – und zum Schluss wird mitgesungen.

Dagmar Kraus hat sich mit dem Gitarristen und Liedermacher Matthias Kadar zu einem bemerkenswerten Duo zusammengetan, das nach einem einfachen Prinzip funktioniert: Sie spricht ihre Verse als fein rhythmisierten Singsang, er macht mit mächtiger Stimme seine eigene, dramatischere Version daraus. Dem Witz und der Sensibilität der Texte werden beide Spielarten gerecht, besonders schön in „Millionen flüchtige Wörter stehen an den Grenzen“, aber auch in dem Gedicht über das Mädchen, das in drei Sprachen aufwächst.

Eine durchdachte Performance ist schon die halbe Miete, auch bei Nora Gomringer und Philipp Scholz, die das Publikum am Sonntagabend mit einem echten „Finale furioso“ begeistern. Gomringer ist einen Clownin mit hinreißender Mimik und perfektem Timing, kann aber auch abgründig, so in dem hochsensiblen Text vom Verding-Kind. Philipp Scholz sekundiert ihr horchend und schmunzelnd in seiner viel introvertierteren Art. Mit Schlagzeug, Xylophon, Spieluhr und allem, was da sonst noch herumliegt, schafft er einen feinnervigen Kontrapunkt.

Dem Literaturhaus-Team ist es auch mit diesem Festival wieder gelungen, nicht nur „die üblichen Verdächtigen“ vom Literaturforum Südwest, sondern ein wirklich breites Publikum zu begeistern.