Ulrich Land im Autorenporträt: Er genießt es, wenn die Tinte fließt und bietet seinen neuen Krimi als Work in Progress im Web an.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich selbst beim Schreiben zusehen – wo und wie schreiben Sie?
Ich schreibe leidenschaftlich. Schreibe überall. Von Hand. Old School. Je literarischer die Texte, desto mehr. Zuhause mit Füller, unterwegs – zugegeben – mit einem profanen Kuli. Selten mit Bleistift, sehr selten, ist mir irgendwie zu unverbindlich. Und wenn denn doch, dann 3B-Härtegrad. Oder Weichegrad, besser gesagt. Andre Bleistifte, finde ich, kratzen. Würde in Sachen Krätze zwar passen, aber grundsätzlich finde ich, Schreiben muss fließen. Gut, wenn’s gut flutscht. Weich wie Butter. Echter Warmduscher eben. Deshalb auch Kulis mit möglichst breiter Kugel, Füller mit weicher Feder. Abgesehn vom guten alten Kolbenfüller (Marke egal) am liebsten diese Billigkulis, ex und hopp, transparent und (wegen der Plastikverschwendung natürlich) political un-correct, mit farbigem Spitzhut einerseits und gleichfarbigem Stopfen andererseits. Gibt nichts Schöneres, als auf dem Balkon zu sitzen oder auf einem s-pitzen S-teine an murmelndem Bächelein oder vis-à-vis einer hundebepinkelten Fabrikmauer und zuzusehn, wie der Tintenspiegel in seinem Röhrchen sinkt. Und sinkt. Wie die Tinte aufs Papier fließt.
Schön wär’s. Ist es auch meistens. Logo, nicht immer. Gibt Situationen, Szenen, Kapitel, wo’s sprudelt, wo ich nicht so schnell schreiben kann, wie’s mir in den Sinn kommt und aus dem Kopf fällt. Gibt aber natürlich auch Phasen, wo’s klemmt, wo’s zäh ist. Hinlänglich bekannt, hinlänglich beklagt, hinlänglich belamentiert. Burn-Out, leergeschrieben: klappern mit den Problemen des Handwerks.
Mich interessieren – naturgemäß – eher die Arien, wo’s so richtig läuft, geschmeidig und locker vom Balkonhocker. Die Tinte, die Spannung, die Stimmung, die Dialoge. Wenn ich mich da richtig beobachte, sind die Passagen, wo besagter Tintenspiegel besonders wacker fällt, vor allem solche, wo’s um Demütigungen geht. Die Bustier-Szene mit Senator Nabokov in „Lolitas später Rache“, der Biertischtanz der kleinen Ursula in „Michel B.“, das Anbiedern der schottischen Lady Jane Blankfield beim „Messerwetzen im Team Shakespeare“. Ich glaub, in jedem meiner Bücher gibt’s solche Passagen. Die schreiben sich weg wie warme Semmeln.
Und wie machen Sie Pause?
Wenn ich ehrlich bin: viel zu selten. Am ehesten, wenn ich mit den Kinder schwimmen gehe. Oder wenn ich bei einem Fußballspiel in der Glotze einpenne. Selten, viel zu selten Kino, Radiohören, Theater. Vor ein paar Jahren, als ich noch in meiner Land-WG am Südrand des Ruhrgebiets lebte, waren es die Esel, Ziegen, Hühner, die mich rausrissen und zurückholten auf den Boden der Tastsachen. Aber jetzt in meiner Freiburger Wirklichkeit gebührt dieser Dank vor allem meiner großen Tochter und den beiden kleineren.
Wie ist es zu Ihrer ersten (größeren literarischen) Veröffentlichung gekommen?
Die erste fette Radiosendung hab ich einem Klassenkameraden meines Vaters zu verdanken, Ernst Mömkes. Vor dem Mann ziehe ich echt den Hut. Eingefleischt konservativ, aber immer offen. Ließ problemlos auch andere Meinungen gelten. Hat als WDR-Hörspiel-Dramaturg und -Redakteur nie inhaltlich oder ideologisch in meinen Texten rumgefuhrwerkt. Ließ mich machen mit meinen kruden bis bekloppten Ideen im Kopf. Und gab mir eben meine erste Chance, als er sagte, er habe hier einen dicken Stapel Material für ein Ortsporträt des Städtchens Rheinberg am Niederrhein, aber keinen Autor. Ob ich Lust hätte, ein zweistündiges Zwischending aus Radiofeature und Hörspiel über dieses verschlafene Nest zu fabrizieren. Ich hatte. Und hatte, schwupps, den Fuß zwischen der Tür.
Woran erkennen Sie einen guten Text?
Daran, dass er mich – im Wortsinn – anspricht. Ich lasse mich für mein Leben gern überraschen. Nichts Schöneres, als nach dem letzten Satz eines Textes vor mich hin zu murmeln: Das hätt ich jetzt nicht gedacht.
Was bestimmt Ihren Alltag – neben dem Schreiben?
Das Family-Life, das ich in vollen, in vollsten Zügen genieße.
Ulrich Land wurde 1956 in Köln geboren. Freier Autor seit 1987. Er lebt und schreibt in Freiburg.
Romane: „Der Letzte macht das Licht aus“ (Münster, 2008), „Einstürzende Gedankengänge“ (2010), „Und die Titanic fährt doch“ (2011), „Krupps Katastrophe“ (2013), „Messerwetzen im Team Shakespeare“ (2014), „Lolitas späte Rache“ (Münster, 2016), „Michel B. verzettelt sich“ (Hillesheim, 2016).
Darüber hinaus Lyrik, Prosa, Essays, über 40 Hörspiele und fast 100 Radiofeatures. Herausgeber von Anthologien und von Literaturzeitschriften.
Dozent für „creative writing“ u. a. an der Uni Witten/Herdecke.
Mehrere Auszeichnungen: u.a. Kölner Medienpreis, Ruhrgebietsjournalistenpreis; mehrfach Hörspiel-Stipendien der Filmstiftung NRW und des nordrhein-westfälischen Kulturministeriums
Auf der Website http://kraetze-krimi.de kann man online meinen nächsten Roman – KRÄTZE, einen Krimi als Familiendrama zwischen Finnland und deutschen Landen – als Work in Progress begutachten. Kann also einen Blick durch den Türspalt der Romanwerkstatt werfen und Episode für Episode – wie in früheren Zeiten einen Fortsetzungsroman in der Tageszeitung – lesen bzw. runterladen. Und am Ende wird es denn doch auch ein Buch in gedruckter Form geben.
Dabei geht es um einen gewissen Felix, Spross aus reichem Fabrikantenhause, der sich in ein einsames finnisches Blockhaus zurückzieht. Kaum dort angekommen, muss er aber feststellen, dass er via Interpol als Entführer seines Großonkels gesucht wird. Alles Unsinn, da ist er sich vollkommen sicher – bis plötzlich besagter Großonkel vor ihm steht …