Andreas Venzke im Autorenporträt: Erkennt einen guten Text an seinen inneren Ausrufen und glaubt nicht daran, dass er seinem Leben durch das Schreiben einen Sinn abringen kann.

  1. venzke_04Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich selbst beim Schreiben zusehen – wo und wie schreiben Sie? 

    Ich sitze wieder nicht am Meer in der Karibik, zwischen Palmen im Schatten einer strohgedeckten Hütte, sondern auf demselben blöden Schreibtischstuhl an demselben blöd unaufgeräumten Schreibtisch vor demselben blöde surrenden Computer mit demselben saublöden Blick nach draußen und versuche, das alles zu vergessen, und ja, ich vergesse es tatsächlich, wenn dann die Geschichte läuft, wenn sie richtig abgeht, wenn ich das Gefühl habe, Mist, meine Finger sind zu langsam beim Tippen, sie können den Gedanken gerade nicht folgen, müssen sie aber – und, los macht hin!, ihr Schnecken, die ihr nie das Zehnfingersystem gelernt habt –, weil ich sonst diesen zweiten und besonders den dritten Gedanken, den ich zu der Geschichte gerade im Kopf habe, vergesse und der dann weg ist und nicht wiederkommt oder anders, als ich ihn wollte. Und überhaupt will ich ans Ende kommen – und wenn ich das Ende vor mir sehe, bin ich enttäuscht, dass ich ans Ende komme, das aber natürlich noch wahnsinnig originell gestaltet sein muss. Nie ist man mit seiner Arbeit fertig, und wenn man doch fertig ist, man jedenfalls die Geschichte bis zu Ende geschrieben hat, ist man ganz anders fertig. Ja: Stress! Ich finde, das Schreiben stresst. (Ja, das das steht hier richtig!) Ich komme ja schon zum Essen, ich komme ja schon!

  2. Und wie machen Sie Pause? 

    Ich begebe mich in eine andere Welt: Laufen, Gitarre, Flasche Bier, Körperpflege.

  3. Wie ist es zu Ihrer ersten (größeren literarischen) Veröffentlichung gekommen? 

    Ich hatte das Bordbuch von Kolumbus übersetzt, meinte dann, so viel über den zu wissen, dass ich Verlagen anbot, eine Biografie über ihn zu schreiben. Das war 1989, drei Jahre vor dem 500-jährigen Jahrestag der „Entdeckung Amerikas“. Ich bekam als junger Mann tatsächlich den Auftrag dazu. Das eine hatte mit dem anderen zu tun. Das wusste ich damals nicht. „Kolumbus“ hat aber gereicht, dass ich diese neue Welt betreten und einen kleinen Teil davon (etwas wie L’Anse aux Meadows) erobern konnte.

  4. Woran erkennen Sie einen guten Text? 

    An meinen inneren Ausrufen: Oh Mann, das ist wirklich gut gemacht! Scheiße, man muss sich was trauen! Oioioi, hoffentlich hält diese Spannung noch über ein paar Seiten an! Alles klar, ich erkenne hier den Kniff, ist aber trotzdem gut gemacht! Wahnsinn, man kann doch noch Neues finden! Boah, was für ein gutes Bild! Verdammt, so möchte ich auch schreiben können!

  5. Was bestimmt Ihren Alltag – neben dem Schreiben? 

    Dem Leben einen Sinn abzuringen, wobei ich nicht mehr daran glaube, dass dies in Form des Schreibens gelingen kann. Schreiben ist in erster Linie so ein Psycho-Ding (oder meine ich: Pseudo-Ding?), dass man sich darüber ein paar Gewissheiten über die eigene Existenz verschaffen kann. Aber das war ja nicht die Frage … Sonst versuche ich also, meinen Platz in dieser Welt zu bestimmen oder überhaupt erst zu erkennen. Leider bleibt es meist beim Versuch. Der allerdings führt für mich dann immerhin dazu, dass ich ein wenig Neues lerne, endlich den sauberen Barréwechsel zwischen Tonika, Subdominante und Dominante, das Lösen des Zauberwürfels ganz ohne Merkzettel, den richtigen Gebrauch des Italienischen in einem Konditionalsatz wie „Wenn der Computer nicht erfunden wäre, würde ich trotzdem nicht mit dem Füller schreiben“ oder die Klage darüber, warum es heute sogar (oder erst recht?) in Ökotown Freiburg normal sein soll, dass 15-Jährige zu einem dreiwöchigen Schüleraustausch in die USA fliegen.

Andreas Venzke wurde 1961 in Berlin geboren. Nach seinem 1986 abgeschlossenen Studium an der FU Berlin arbeitete er zunächst als literarischer Übersetzer und Journalist, außerdem für den Hörfunk und dpa, auch als Autor für damals und die horen, bald hauptsächlich als Buchautor, mit Romanen für Jugendliche, mit Biografien für Erwachsene. In den letzten Jahren hat er sich besonders mit literarischen Lebensbeschreibungen etwa über Luther, Ötzi oder auch Scott/Amundsen einen Namen gemacht. Seine jüngste Veröffentlichung ist der Jugendroman „Unter Räubern“. Seine Kinder- und Jugendbücher wurden vielfach ausgezeichnet. „Seine Bücher erzählen von Erwachsenen und Kindern, die den Mut haben, Herausforderungen anzunehmen und Widerstände zu über­winden.“ (Frank­furter Allgemeine Sonntagszeitung) Venzke lebt mit Familie in Freiburg im Breisgau.
www.andreas-venzke.de