Lesetipp von Renate Schauer: Sarah Moss, Gezeitenwechsel. Spannender Familienalltag.

Bestechend finde ich hier, wie Alltag beschrieben wird. Familienalltag, wohlbemerkt. Konflikt- bzw. Sorgenpotential liefert eine Krankheit, die schwer einzuordnen ist, aber in das Familienleben eingeordnet werden muss: Die 15-jährige Tochter bleibt einige Momente ohne Bewusstsein und ohne Atem. Eine Allegie? Eine Erbkrankheit? Immer wieder bange Fragen: Atmet sie noch? Wird ihre kleine Schwester auch dieses Symptom erleiden?

Es geht also um den normalen Ablauf, in dem eine Brüchigkeit Platz greift, die womöglich sogar lebensbedrohlich ist. Die Mutter eine chronisch überlastete Ärztin, ihr Mann Vollzeitvater und „nebenbei“ Dozent. Aus seiner Perspektive wird die Geschichte erzählt. Die britische Schriftstellerin Sarah Moss, geb. 1975, schlüpft also in den Kopf eines Mannes.

Leider schweift er zu oft ab zum Schicksal der Coventry Cathedral. Was die Planung von deren Wiederaufbau mit dem Schicksal seiner Familie – auch symbolhaft – zu tun haben könnte, erschließt sich mir nicht. Sie streckt das Buch unvorteilhaft. Doch irgendwie muss sich der Vater ja ablenken von der Eintönigkeit der Hausarbeit und den Sorgen um die Töchter. Wenn er die Geschichte seiner Eltern erzählt, ist das logisch und erhellend.

Wir wissen nicht, wie sich die Familienmitglieder letztlich entwickeln. Irgendwann ist diese sorgenvolle Episode auserzählt. Sarah Moss trifft an der richtigen Stelle die Entscheidung, dass wir genug an dem Lebensabschnitt partizipiert haben.

mareverlag GmbH; Februar 2019,  327 Seiten, 24 Euro