Lesetipp von Arne Bicker: „Lustprinzip“ von Rebekka Kricheldorf. Selbstfindungsprozess im Berlin der Nachwendezeit.

Gelegeneheit macht Liebe, sagt man, und die Corona-Krise macht Bücher. So simpel erklärt sich das Zustandekomen des Romans „Lustprinzip“ von Rebekka Kricheldorf (Rowohlt). Die gebürtige Freiburgerin lebt in Berlin, ist vielfach ausgezeichnete Theaterdramaturgin und hat in den letzten Monaten mangels Theaterarbeit mal eben einen Roman verfasst. Und dieses Debüt ist ein großer Wurf, die 240 Seiten entfalten eine fast schon unheimliche Wucht und einen schwärenden Lesesog: Larissa, Hauptfigur des Romans, durchlebt im Berlin der Nachwendezeit einen schmerzlich stagnierenden Selbstfindungsprozess zwischen Hausbesetzer-Szene, Berliner Nachtleben und Humboldt-Universität. Die Autorin beschreibt in direkten, unverblümten und fesselnden Worten eine permanente Selbst- und Außenhinterfragung, die sich fortwährend zu drehen und zu winden scheint wie ein Windows-Bildschirmschoner, und wie ein solcher doch nicht vom Fleck kommt. Kricheldorf beherrscht die Kunst, scheinbar Lapidares pulsieren zu lassen, ihre Worte durchlodern förmlich einen fortwährenden Tanz auf einem Vulkan der zum Scheitern verdammten Auflehnung gegen staatliche Autoritäten und bürgerlichen Meinungsbeton – ein Leben, in dem Drogen, Alkohol, Sex und Kultliteratur verschlungen werden wie von einem ewig rastlosen Packman, der stets das gleiche Labyrinth durchstreift, immer auf der Suche nach der nächsten Krafttablette, und stets in Gefahr von überall lauernden Gespenstern pulverisiert zu werden, deren Überzahl erdrückend scheint. „Lustprinzip“ ist Einblick, mitreißende Erzählung, Unentrinnbarkeit, Stakkato der Emotionen und Zustände. Stark.

„Lustprinzip“ von Rebekka Kricheldorf, Rowohlt Berlin, erschienen am 16.02.2021, 240 Seiten, 20 Euro.

Arne Bicker