Buchtipp: Sisyphos in Klickpedalen. Joachim Zelters „Im Feld“ ist eine brillante Parabel auf eine Sinnsuche, die die verzweifelte Anstrengung zum Wert an sich erklärt.
Der in Freiburg geborene Joachim Zelter hat sich mit Romanen wie „Briefe aus Amerika“, „Schule der Arbeitslosen“ und „Der Ministerpräsident“ einen Namen gemacht und zahlreiche Preise gewonnen. Doch sein Roman „Im Feld“ lag lange ungelesen bei mir herum. Ein Rennradfahrerroman? Nichts für mich!, war ich mir sicher. Aber einmal begonnen, las ich ihn an einem Tag, unterbrochen von minimalen Pausen zur Nahrungsaufnahme, und hatte mich am Ende nicht nur diesbezüglich tief in den Protagonisten eingefühlt.
Frank Staiger ist frisch nach Freiburg im Breisgau gezogen, ohne so recht zu wissen, warum. Sein Leben ist leer, seine Lebensgefährtin macht sich Sorgen. Sie ist es, die den Hobbyrennradler auf einen Verein aufmerksam macht – und die Parforce-Fahrt beginnt: Unversehens gerät er in eine Gruppe, die alles, aber auch wirklich alles aus sich herausholt. Dem Sog dieser Geschichte zu widerstehen ist auch deshalb so schwer, weil sie ganz unaufdringlich als Parabel erzählt wird: auf Leistungsdruck, Leidenschaft, Verschmelzungssehnsucht, ja auf das Leben überhaupt. Schon das vorangestellte Motto, ein Camus-Zitat aus dem „Mythos von Sisyphos“, zeigt, wo es langgeht: Richtung Sinnsuche in absoluter Sinnlosigkeit. All die gesichtslosen Männer und Frauen, nur nach ihren Markenrädern benannt, sind auf der Flucht, fahren ihren Lebenskrisen davon, reiben sich verzweifelt auf, in dem Glauben, ihre Anstrengung sei ein Wert für sich. Ihr charismatischer Führer Landauer scheint ja mörderische Berge hinauf zu schweben wie eine Wolke. Er schenkt ihnen kleine Momente des (scheinbaren) Erkanntwerdens und beschwört die Gemeinschaft, den „geschlossenen Verband“. Im Gefühl, zu den Erwählten zu gehören, toleriert auch Frank sein zunehmend tyrannisches Verhalten, das keine Pause zulässt, kein Ausscheren. Bis auch die letzten Helden „friedlich fallen“.
Zuvor erinnerte sich der gebildete Akademiker Frank noch wie im Flug an Bernard Shaws „Pygmalion“ als einer Geschichte, in der es um die besondere Kraft der Bildung geht. „Was für eine rührselige, absurde und dumme Geschichte“, urteilt er, keine Pedalumdrehung auslassend. Heute verhalte sich alles genau umgekehrt: Um überhaupt überleben zu können, müsse man sich „entbilden“, „entgeistigen“. Erzählt werden müsse die Geschichte eines Mannes, der seinen Verstand „mit letzter Kraft herauspumpt, herauspedaliert, herausfährt. (…) Habe den Mut, dich deiner eigenen Dummheit zu bedienen!“ Eine tiefschwarze Erkenntnis, der immerhin ein halb versöhnter Schluss folgt.
Joachim Zelter, Im Feld. Roman einer Obsession. Klöpfer & Meyer, 20 €
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