Lesetipp: Markus Beckers „Das Geheimnis der 137“ ist eine fantastische Novelle, in der Normalität und Wahn ineinander kippen.
Das physikalische Grundproblem ist real: Die Zahl 137 beziehungsweise der Bruch 1/137 wirft als „Feinstrukturkonstante“ im Bereich elektromagnetischer Wechselwirkungen ungelöste Fragen auf. Doch für den Physiker Robert Mann ist „Das Geheimnis der 137“ zur Obsession geworden. „Befreit mich!“, schreit er eines Tages in seinem Labor, zerschlägt einen Teil seiner Einrichtung und bricht zusammen.
Kein Wunder, dass er sich in der Psychiatrie wiederfindet. Dort beginnt ein Reigen unheimlicher Auftritte sonderbarer Persönlichkeiten, vom Patienten, der angeblich eine „gefühlvolle Brühe“ mit schaurigem Inhalt kocht, über einen „Flüsterer“, der vorgibt, Robert bestens zu kennen und zu kontrollieren, bis hin zu einer Frau, die meint, sich an einem heiligen Ort inmitten barbarischer Welten zu befinden. Robert spürt, dass dieser Ort ihm nicht guttut und möchte ihn so schnell wie möglich wieder verlassen. Was wir mühelos nachvollziehen können. Nur verschränken sich auch in Roberts Bewusstsein von Anfang an reale und irreale Ebenen, und er erweist sich als Meister des Kleinredens seiner eigenen Wahnvorstellungen. Träume und Wachzustände sind nicht mehr unterscheidbar. Auch seinem Freund Magnus gelingt es nicht, ihn in vernünftige Denkbahnen zurückzuziehen. Gemeinsam mit Mitpatientin Klara verlässt Robert die Psychiatrie vorzeitig, um nach Indien zu reisen. Dort, so glaubt er, wird er mit Hilfe eines mathematisch genialen Gurus endlich das Geheimnis der 137 lösen. Nach einem berührenden Ausflug in eine andere, aber nicht weniger bizarre Welt, landet er dennoch wieder an seinem Ausbruchsort.
Eine „fantastische Novelle“ im doppelten Sinn, die Traum und Wirklichkeit, Wahn und Vernunft unlösbar ineinander verschränkt. Die Welten innerhalb und außerhalb der Psychiatrie geraten ins Schwanken – und finden nicht zum festen Boden zurück. Etwas oder jemand manipuliert uns eigentlich ständig. Oder sind wir es am Ende selbst, die uns so obsessiv an der Nase herumführen? Ein außergewöhnlicher, bemerkenswerter Text zwischen den Genres, bei dem spannend und unterhaltsam Furchtbares in Komik kippt, Komik in Schwere, Schwere in Absurdität … Ein Vergnügen für Menschen mit starken Nerven!
Markus Becker, Das Geheimnis der 137. Novelle. edition federleicht, 2024, 15 €.
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