Neu erschienen: Ute Bales, Vom letzten Tag ein Stück. Ein Roman, der vom Verlust einer Landschaft erzählt.

Neu erschienen: Ute Bales, Vom letzten Tag ein Stück. Ein Roman, der vom Verlust einer Landschaft erzählt.

Im neuen Roman von Ute Bales geht es ums Fortgehen und Bleiben und um den Verlust einer Landschaft mit einer langen Vergangenheit.

Die Zeit ist schneller als ich. Sie hat mich längst überholt, hat alle überholt, sogar Bertram, von dem ich immer dachte, dass er nie einzuholen sei. Vielleicht sind wir die Letzten, höre ich ihn sagen und ich weiß, was er meint. So beginnt Ute Bales‘ neuer Roman, in dem sie der Frage nachgeht, wohin der Mensch gehört, wenn Heimat immer weniger greifbar wird, wenn sich Menschen immer mehr von ihren Landschaften entfernen, wenn sie diese Bindung verlieren und letztlich ihre Landschaften nicht mehr brauchen.

Hintergrund des Romans ist eine Umweltkatastrophe, die sich seit Jahrzehnten, unbemerkt von einer größeren Öffentlichkeit, vollzieht. Gemeint ist der Abbau der vulkanischen Berge der Eifel, deren Ausbeutung von Lava und Basalt für schnelles Geld und maximalen Profit. Bales beschreibt ein traditionsbehütetes Dorf, arglose Bewohner, einen geplünderten Berg, die hilflosen Versuche eines jungen Mannes, der sich gegen diese Zerstörung wehrt  und eine Ich-Erzählerin, die bei alldem zusieht.

Der Roman spielt in der Zeit der 1960er Jahre bis heute. Zentrale Figur der Erzählung ist Bertram, ein Aussteiger. Das Dorf, in dem er lebt, interessiert ihn wenig. Dafür aber die Landschaft, die Natur, die Berge, die Pflanzen. Anders als die Ich-Erzählerin, die es in die Stadt zieht, möchte er bleiben, wo er geboren ist. Er ist der Meinung, dass es etwas zu bedeuten hat, wann und wo ein Mensch geboren ist und dass er genau dort auch hingehört. Er lebt von Gelegenheitsjobs, ist politisch interessiert, spielt Gitarre, liest viel. Sein Haus, ein ehemaliger Bauernhof, steht allen offen, mit denen sich gut diskutieren lässt. Als die Wettenfeld Lava GmbH den Bauern Felder und Wiesen am vulkanischen Berg abkaufen will und dabei keinen Hehl daraus macht, Basalt und Lava abbauen zu wollen, ahnt Bertram die Wunden und Verluste, die die Zerstörung des Berges für das Dorf bedeuten würde. Er befürchtet das Verschwinden von Insekten und Pflanzen, ist sicher, dass der Wind die Richtung ändern wird und Wasserläufe versickern werden. Er beginnt seine Naturbeobachtungen aufzuschreiben, stellt fest, dass die Verbindung Mensch und Landschaft schleichend entrückt, kritisiert, dass die Angebote der Supermärkte, wo alles zu jeder Zeit und billig zu haben ist, der Landschaft ihren Wert zur Versorgung nimmt und die Menschen ihr Land immer weniger brauchen und schätzen.

Als der Berg zum Abbau freigegeben wird, wächst sein Zorn über die immer brutaler werdenden Eingriffe in die Natur. So ein Berg, da ist er sich sicher, darf nicht einem gehören, auch nicht allen, sondern – niemandem. Zusammen mit der Ich-Erzählerin, die ihn liebt und seinetwegen regelmäßig in ihr Dorf zurückkehrt, wird er aktiv, nimmt an Demos teil, entwirft Flugblätter, schreibt Briefe an die Verantwortlichen. Am Berg sucht er nach einer seltenen Pflanzen- oder Tierart, hofft, dadurch den Abbau aufhalten zu können. Weil er nichts findet, beginnt er Giftpflanzen zu züchten.

Der Verlust des Berges geht immer stärker mit dem Verlust der eigenen Identität und Geschichte einher. Als in einem Frühjahr der Ginster nicht mehr blüht und er einen der vertrauten Bäche nicht mehr finden kann, verschwindet Bertram spurlos. Die einzige, die nach ihm sucht, ist die Ich-Erzählerin, die seine Geschichte rekonstruiert. Gleichzeitig Protagonistin und aus ihrer Perspektive erzählend, blickt sie zurück auf eine Zeit, in der die Verbindung zwischen Mensch und Natur eng und intensiv war. Bertram, der Berg, die Tiere und Pflanzen stehen sozusagen symbolhaft für die vermisste weitere Landschaft – die innere, die Seelenlandschaft der Erzählerin. In ihrer Person zeigen sich die Emotionen und Bindungen, die Landschaften hinterlassen können und so orientiert sich der Roman einerseits an der Suche nach Heimat und an der Hoffnung, diese wiederzufinden und andererseits an der Angst, dass dies nicht gelingt. Die Weisheit, dass man in die Ferne gehen muss, um die Heimat wiederzufinden, bestätigt sich nicht vor dem Hintergrund einer für Konsum und Profit zerstörten Landschaft.

„Vom letzten Tag ein Stück“ ist in der Spannung zwischen Untergang und Sehnsucht nach Verlorenem angesiedelt. Dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen, nicht um Beweise und Gegenbeweise, sondern darum, was das Verschwinden von Landschaft mit den Menschen macht. Die Ich-Erzählerin bewegt sich in unterschiedlichen Zeitebenen und indem sie die Zukunft vorwegnimmt,  zeichnet sie auf, welche Wirkungen äußere Ereignisse im inneren Erleben auslösen. „Unser Berg, das Dorf und die Felder reden nicht. Lange dachte ich, sie würden unsere Geschichten aufheben. Aber das tun sie nicht. Auch ich schweige. Nicht ich habe sie zurückgelassen, sondern sie mich.“

Ute Bales »Vom letzten Tag ein Stück«. Rhein-Mosel-Verlag, 19,80 Euro.