Katja Lange-Müller: Unser Ole
Moderation: Thomas Geiger
1951 in Ost-Berlin geboren, in der DDR wegen „unsozialistischen Verhaltens“ von der Schule verwiesen, sammelte Katja Lange-Müller Erfahrungen in einer Schriftsetzerlehre, beim Literaturstudium oder als Pflegekraft in der Psychiatrie. Für ihre Erzählungen und Romane wie „Böse Schafe“ und „Drehtür“ wurde sie vielfach ausgezeichnet. In „Unser Ole“ (Kiepenheuer & Witsch, 2024) verschlägt es vier Gestrandete unter ein Dach. Ida, einst bildschön, jobbt als Modell bei Seniorinnen-Modenschauen. Knapp bei Kasse, ist sie froh, im Landhaus bei Elvira unterzukommen, einer Zufallsbekanntschaft aus dem Kaufhaus. Die wiederum erhofft sich Gesellschaft und Hilfe bei der Betreuung ihres 17-jährigen Enkels Ole. Ein tragisches Ereignis ruft dessen Mutter Manuela auf den Plan, die den Jungen zuletzt als Einjährigen gesehen hat. Während die Frauen einander misstrauisch umkreisen, entfalten sich ihre Familiengeschichten, Lebenslügen, Verletzungen und Sehnsüchte in einem furiosen Kammerspiel.
Necati Öziri: Vatermal
Moderation: Martin Bruch
Der junge Arda liegt mit Organversagen im Krankenhaus und schreibt zum Abschied einen Brief an den abwesenden Vater, den er nie kennengelernt hat. Darin lässt er sein Leben Revue passieren: Konflikte mit der alkoholkranken Mutter, eine Schwester, die von zuhause abhaut, endlose Stunden auf dem Ausländeramt, aber auch die erste Liebe und die Zeit mit den Freunden Savaş, Bojan und Danny. Mit „Vatermal“ (Claassen, 2023) prägt Necati Öziri einen eigenwilligen Sound: wütend, schlagfertig, witzig und zart. Seine jugendlichen Helden suchen Orientierung in einer Gesellschaft, in der sie nie wirklich ankommen. Öziri öffnet uns für diese deutsche Realität die Augen, heißt es in der Nominierung für die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2024.
In seinem gefeierten Romandebüt greift der im Ruhrgebiet aufgewachsene, heute in Berlin lebende Autor und Dramaturg Themen seines Theaterstücks „Get Deutsch or Die Tryin“ auf, das 2017 am Maxim Gorki Theater uraufgeführt wurde. Als Kurator leitete er das Internationale Forum des Theatertreffens der Berliner Festspiele.
Francesca Melandri: Kalte Füsse
Moderation: Jutta Person
Francesca Melandri hat sich in Italien zunächst als Drehbuchautorin einen Namen gemacht. Nach „Eva schläft“ und „Über Meereshöhe“ gelang ihr mit dem dritten Roman „Alle, außer mir“ – 2018 das Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels – ein riesiger Publikumserfolg. Darin verbindet Melandri das Schicksal von heutigen Geflüchteten mit der kolonialen Vergangenheit Italiens und trifft „punktgenau ins nervöse Herz der Gegenwart“ (SZ). In „Kalte Füße“ (Wagenbach, 2024, übersetzt von Esther Hansen) verknüpft sie das Ende des Friedens in Europa mit einem verdrängten Kapitel italienischer Geschichte – und der Geschichte ihres Vaters.
Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee. Zehntausende erfroren, Melandris Vater überlebte. Der „Rückzug aus Russland“ hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt. Doch erst als sie Anfang 2022 Bilder und Schauplätze von Russlands Angriffskrieg sieht, wird der Autorin klar: Es ist vor allem die Ukraine, in der ihr Vater gewesen ist. „Kalte Füße“ ist ein berührendes Zwiegespräch mit einem geliebten Menschen: ein unerschrockenes Buch über das, was der Krieg gestern wie heute in Körpern und Köpfen anrichtet.
Förderer: Kulturamt der Stadt Freiburg, Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, Sparkasse Freiburg-Nördlicher Breisgau, Guzzoni-Federer-Stiftung, freundlich unterstützt von der Buchhandlung jos fritz und dem Park Hotel Post
Datum: 9.11.2024, 15–18 Uhr
Ort: Literaturhaus Freiburg, Bertoldstraße 17
Eintritt: 11/7 Euro